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11. Tag: Ich bin noch lange nicht fertig

28. Oktober 2015 - Am Weg
11. Tag: Ich bin noch lange nicht fertig

[Ferdinand Kaineder] Klimapilgern in der Halbzeit. Das heißt aber nicht, dass wir in die Kabinen verschwinden. Schönes Wetter erwartet uns am Kirchenvorplatz in St. Pantaleon. Wir stellen uns ein auf das Hinübergehen in das neue Bundesland, das sich nach der letzten Wahl verändert hat. Oberösterreich werden wir ab Mauthausen begehen. Das Kirchentor gibt dem Rucksack der Alternativen noch einen besonderen Platz. Wir haben schon so viel gesehen, erlebt, gezeigt bekommen. Projekte, Firmen, Organisationen und Menschen, die eine klimagerechte Zukunft bauen. Jetzt. Heute. Manche gegen Widerstand schon seit Jahren. Sechs Männer und Frauen gesellen sich wieder zu uns, gehen ein Stück am Pilgerweg für mehr #Klimagerechtigkeit mit. Wir sehen uns immer wieder in Salzburg, in Paris Ende November beim Weltklimagipfel. Es besteht die Chance, dass die EntscheidungsträgerInnen endlich begreifen, dass wir mit dieser Art von Wirtschaft unsere Lebensgrundlage zerstören. Die Chinesen können nicht mehr frei atmen, bei uns wird Humus (Alles Leben kommt aus der Erde) ein Fremdwort, in Afrika versiegt das Wasser, in Südamerika raubt der Bergbau die Felder und in den USA ziehen die Wirbelstürme dahin. Liste absolut unvollständig. Das sind keine Naturgewalten, sondern die Gewalt an der Natur und damit am Menschen entfaltet diabolische Zustände. Angst macht sich breit. Wir sehen und erleben auf unserem Weg Zuversicht, Alternativen, Engagement mit Leidenschaft, die Haltung: Es geht. Geht doch!

Das Alte war uns gut genug

Thomas Pree (li)

Der Pfarrleiter der Pfarre Mauthausen Thomas Pree hat ein gelassenes Lächeln auf seinem Gesicht. „Ich bin noch lange nicht fertig“, meint er vor dem neuen mit dem Umweltschutz des Landes ausgezeichneten Pfarrzentrum Mauthausen zu uns Klimapilgern. Er redete aber nicht vom Haus, sondern von seinem 3 Monate langen Pilgerweg nach Santiago: „Vor einer Woche bin ich zurückgekommen vom Jakobsweg. Es wird dauern, alle die Eindrücke und Erfahrungen einzuordnen.“ Einen Weg ist auch die Pfarre gegangen. Das Haus erklärt er uns so: Fünf Jahre Vorbereitungs- und Entscheidungszeit hat es gebraucht. Wir haben möglichst alle eingebunden, viele haben partizipiert. Das ist der Schlüssel: Teilhabe. Dann die Idee, alles vom Altbau wieder zu verwenden, radikal nachhaltig bauen. Der Altbau wurde zum Edelrohbau. Der weggeworfene F11_pfz_IMG_4271ußboden aus dem Gemeindehaus wurde in vielen Stunden hier wieder eingebaut. Pelletsheizung, robuste Böden. Das erste Passivhaus als Pfarrzentrum wurde errichtet. „Die Leute haben eine Freude damit und dort und da wird auch in Privathäusern diese Idee umgesetzt.“ Wir sind wirklich froh, dass unser Klimapilgerweg hier vorbeiführt. Ein wunderbares Beispiel, dass gerade beim Bauen „viel geht“. Pree betont nochmals: Der Schlüssel ist die Beteiligung möglichst aller. Unser Weg geht wieder hinunter an die Donau. Die Sonne scheint uns ins Gesicht. Es ist warm. Auch ums Herz, wenn man solche Beispiele als Ermutigung sieht. Mut, Entschiedenheit, Fachwissen und die richtigen Leute vernetzt. Wir gehen weiter an der alten Bundesstrasse. Viel Asphalt. Das macht müde. Lieber gehe ich 800 Höhenmeter als 8 km auf der Straße.

Kirchenasyl für eine fünfköpfige Familie
Unser Weg führt uns am Memorial in Gusen vorbei. Johann Gruber wurde hier ermordet. Er hat sich eingesetzt für die Menschen hier im Lager. Hier war die Hölle. Wir sind beim Durchgehen still geworden. „Wir gehen für alle Menschen, die damals und heute zum Opfer von Menschen gemacht worden sind und werden.“ So schreibe ich es ins Gästebuch für uns KlimapilgerInnen. Unser Weg führt uns nach Abwinden. Dort ist unser Bleibe. Die Pastoralassistentin Monika Weilguny besucht uns zusammen mit dem Vater einer fünfköpfigen afghanischen Familie, der in Monate langer Flucht der Weg nach Österreich gelungen ist. Zu Fuß sind sie meist in der Nacht über Griechenland, Mazedonien, Serbien nach Ungarn gekommen. Dort war die Behandlung menschenunwürdig. So führte ihr Weg nach Österreich. Dublin III gilt für sie und
so sollten sie zurück nach Ungarn geschoben werden. Die Pastoralassistentin hat alles in Bewegung gesetzt und hat die Familie im Pfarrhof untergebracht. „Kirchenasyl“ heißt in Österreich, dass die Fremdenpolizei auf ihren Zugriff verzichtet. Es ist gelungen, dass sie hier sind, ein neues Verfahren läuft. Alle drei Kinder sind in der Schule und im Kindergarten, der Vater arbeitet für die Gemeinde und lernt deutsch, die Mutter ebenso. Er spricht nach 6 Monaten so gut deutsch, dass er uns selber seine Geschichte erzählen kann und unser Gespräch versteht. Bewundernswert. Wir nehmen diese Familie und die mehr als 150 Flüchtlinge, die derzeit im Pfarrgebiet St. Georgen untergebracht sind, mit auf unserem Weg. Übrigens: Die Familie ist bei einer Familie untergekommen und in der kleinen Wohnung im Pfarrhof sind schon die nächsten „Gefährdeten“ untergebracht. Eine quirlige Frau setzt sich ein. Geht doch!

Aufmerksames achtsames Hinschauen
Jetzt sitze ich alleine da und schreibe die Erfahrungen. Halbzeit ist. 11 Tage sind wir unterwegs als Pilger, die Klimagerechtigkeit im Sinn haben und in den Flüchtlingen die Kehrseite der Ungerechtigkeit sehen. Froh bin ich, dass ich diesen Weg gehe. Dankbar, dass ich dabei sein darf. Vorhin habe ich mit Martin von der KOO, während er den Rucksack der Alternativen auspackt, Erfahrungen und Einschätzungen geteilt. Er ordnet einmal den bisherigen Inhalt und nimmt ihn mit, damit wir nicht so schwer tragen müssen: „Es ist für mich unglaublich, wie viele Projekte wir schon gesehen haben alleine an diesem schmalen Wegband, das wir gehen. Wenn sich alle aufmachen würden und mit offenen, neugierigen Augen die Welt anschauen würden, entstünde viel Wissen und Ermutigung zum Tun. Es tut einfach gut, nicht „Experten des Wortes“ sondern die „Macher der Tat“ zu treffen. Von ihnen zu lernen. Michael Hammer ist Nationalratsabgeordneter in Wien für den Bezirk Urfahr. Er hat mir dieser Tage auf Facebook seine Einschätzung unseres Tuns
dazu gepostet: „Dieses wandern kann man nur machen, wenn man scheinbar sonst keine Arbeit hat. Wert für die Gesellschaft und Umwelt =0!“ Ich habe mich gewundert, weil wir schon mehrmals am Bahnsteig vor der Fahrt nach Wien geplaudert haben. Rembert hat zu dieser Anmerkung gemeint: „Sag ihm, dass es Gedanken-Gang heißt.“ Die bisher einzige negative Energie, die uns begegnet ist. Halbzeit. Mögen es manche für verrückt halten, was wir tun. Aber vielleicht braucht die Welt derzeit ein wenig „Verrücktheit, eine Verrückung, eine Zurecht-Rückung“. Gerechtigkeit hat auch mit richten, mit ausrichten zu tun. Das Gehen, das Pilgern hilft dabei enorm. Könnte auch gut für EntscheidungsträgerInnen sein. Wir sind ab heute in OÖ.

 Text und Bilder: www.kaineder.at